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Aus der Frankfurter Rundschau:
Das Zweitliga-Derby zwischen Offenbach und Wehen Wiesbaden ist auch ein Duell der Fußballkulturen
VON WOLFGANG HETTFLEISCH

Es ist so eine Sache mit der Vergangenheit von Fußballklubs. Für Traditionsvereine, die an alte Erfolge nicht mehr anknüpfen können, ist sie eine Last. Für einen Klub, der sich aus dem fußballerischen Nichts nach oben gespielt hat, funktioniert sie dagegen oft wie ein Geschmacksverstärker, der den aktuellen Erfolg noch ein wenig süßer macht. Auch in diesem, sagen wir, fußballsoziologischen Koordinatensystem kreuzen sich heute (18 Uhr) die Wege der Zweitligisten Kickers Offenbach und SV Wehen Wiesbaden.

Als die Kickers 1983 ein letztes Mal in die Bundesliga aufstiegen, feierte der A-Liga-Meister aus dem keine 7000 Einwohner zählenden Taunusort Wehen den Aufstieg in die Bezirksklasse. Im Jahr zuvor hatte der Unternehmer Heinz Hankammer die Klubführung übernommen. Bald galt für den SV Wehen, was sich auch über den von Hankammers Firma Brita fabrizierten Wasserfilter sagen lässt: Er wurde ein Erfolgsmodell.

Die Kickers, schon seit ihrer Verwicklung in den Bundesliga-Skandal nicht gut beleumundet, wurden nach dem Wiederabstieg 1984 zum Synonym für Niedergang und Misswirtschaft. 1989 stritten die Teams in der damals drittklassigen Oberliga Hessen erstmals um Punkte. Vorausgegangen war ein weiterer Aufstieg der von Hankammers Patronage profitierenden Wehener und der – einer zu spät eingereichten Bürgschaft geschuldete – Lizenzentzug beim sportlich noch knapp dem Zweitliga-Abstieg entronnenen OFC. Das passte hüben wie drüben ins Bild.

In den vergangenen 18 Jahren trennte die so verschiedenen Kontrahenten sportlich nie viel. Meist spielte man in einer Liga, wobei Begegnungen auf dem windigen Wehener Halberg zu Pilgerfahrten des zahlenmäßig überlegenen OFC-Anhangs wurden. Da wollte man den Emporkömmlingen zeigen, wer hier die große Nummer war. Auf dem Rasen gelang das nicht immer. Die Kicker aus dem Stadtteil von Taunusstein führten oft die feinere Klinge, auch hierin einer anderen Tradition verhaftet als die Fußball von jeher als Kampf interpretierenden Offenbacher. Für das OFC-Umfeld ist die Augenhöhe schwer erträglich. Abfällig spricht man vom „SV Wasserfilter“ und meint: Der nach Wiesbaden umgezogene Zweitliga-Aufsteiger sei „Hessisch-Hoffenheim“ – Kunstprodukt des reichen Mäzens Hankammer, dessen Sohn Markus inzwischen in Firma und Verein das Sagen hat, und eben kein fußballerisches Kulturgut wie der eigene Klub.

Der Albtraum möge enden

Das entspringt einer tendenziell frustrierenden, weil romantisch-konservativen Fansicht. Den SV Wehen gibt es nicht mehr. Zuletzt füllte der einstige Dorfverein regelmäßig sein neues, 12 000 Zuschauer fassendes Wiesbadener Stadion. Gegen Nachbar Mainz war das klar, gegen 1860 München schon nicht mehr. Die Qualität der Ware bestimmt offenkundig die Nachfrage. Das Offenbacher Publikum, derzeit nicht zahlreicher als das in Wiesbaden, tickt anders. Am Bieberer Berg, wo die Vergangenheit schon baulich nicht vergehen will, war die Gegenwart von jeher eine Halluzination, die aus Mangel an Apfelwein entsteht. Also warten die Kickers-Fans mürrisch darauf, aus diesem Albtraum zu erwachen, um sich gegenseitig versichern zu können: Den SV Wehen Wiesbaden hat es nie gegeben.