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VON ANDREAS HUNZINGER (Quelle: fr-online.de)

Am Sonntagnachmittag, so etwa gegen 15.50 Uhr, dürfte in Offenbach unter Umständen kurz die Erde gebebt haben. Nicht, dass die Stadt von einer Naturkatastrophe heimgesucht worden wäre. Aber die vielen Zentnerlasten, die Spielern, Trainern, Funktionären und Fans der Offenbacher Kickers nach dem Schlusspfiff des Zweitliga-Fußballspiels gegen Eintracht Braunschweig von der Seele fielen, hätten eine solche Bodenbewegung durchaus hervorrufen können.

Der OFC hat das zweite Jahr in der Zweiten Fußball-Bundesliga seit der Rückkehr im Juni 2005 überstanden. Auf wackeligen Beinen dank eines 1:1 (0:0) gegen den seit Wochen feststehenden Absteiger aus Niedersachsen und der gleichzeitigen Siege der Erstligaaufsteiger Rostock und Duisburg gegen die Offenbacher Konkurrenten im Abstiegskampf – Unterhaching und Essen.

Entsprechend oft war nach dem Schlusspfiff von einer „Riesen-Erleichterung“ (OFC-Präsident Dieter Müller) die Rede. Alle Offenbacher seien „einfach nur froh, dass wir drin geblieben sind“, wusste Rechtsverteidiger Christian Müller. Wie sich die Spieler später von den Fans feiern ließen, das wirkte angesichts der desaströsen Bilanz von einem Sieg aus den vergangenen 15 Partien und der mühevollen, „am Ende glücklichen“ (Dieter Müller) Rettung fast ein wenig unwirklich. „Es herrscht mehr Erleichterung“, sagte der aufgrund seines Trainingsrückstands nicht zum Kader zählende Kapitän und Abwehrchef Markus Happe über seine Stimmungslage, „die ganz große Freude will nicht aufkommen.“ Dass der OFC mit der bescheidenen Punktzahl von 36 die Liga gehalten hat, „grenzt fast schon an ein Wunder“, so Happe.

Über den letzten Akt des monatelangen Zitterspiels deckten Spieler und Offiziell in der Stunde der kollektiven Erleichterung den Mantel des Schweigens. „Das Spiel heute war ein Spiegelbild der ganzen Saison“, fasste Mittelfeldakteur Thorsten Judt zusammen. „Wir haben uns irgendwie durchgewurschtelt.“ In der Tat war die Qualität der Darbietung gegen die nicht minder biederen Braunschweiger sehr überschaubar. Die Offenbacher wirkten nervös, die Aktionen waren von Hektik und Ungenauigkeiten geprägt. „Eine gewisse Nervosität hat man gesehen“, beschrieb Trainer Wolfgang Frank nach dem Spiel sehr moderat die offensichtliche Angst seiner Jungs, die Beine und Köpfe gelähmt hatte.

Vor allem in der ersten Halbzeit hatte der OFC kaum etwas zustande gebracht, ein Fernschuss von Linksverteidiger Bastian Pinske, den der Braunschweiger Torhüter Thorsten Stuckmann über die Latte lenkte, war die einzige ernstzunehmende Torchance (20.). Nach dem Seitenwechsel besaßen die Kickers durch Innenverteidiger Matej Miljatovic, nach dessen Kopfball der Braunschweiger Verteidiger Torsten Jülich auf der Torlinie klären musste (52.), Torjäger Suat Türker (75.) und Mittelfeldakteur Oualid Mokhtari immerhin vier Möglichkeiten. Eine davon verwertete Mokhtari, der später noch den Pfosten traf, nach einem Freistoß von Judt per Kopf zum frenetisch bejubelten 1:0 (58.).

Schockzustand nach dem 1:1

Doch dann kam der Ausgleich durch den Brauschweiger Angreifer Valentine Atem (83.), und in der Folge wankten die geschockt wirkenden OFC-Spieler wie schwer angeschlagene Boxer dem Ende des Spiels entgegen. Auch die Nachrichten der zur Halbzeit ausgewechselten Mittelfeldspieler Stephan Sieger und Kapitän Happe, die in der Umkleidekabine per Videotext Kontakt zu den anderen Plätzen hielten, sorgten für keine Beruhigung der Nerven – zumal sie nicht alle erreichten. „Ich hatte keine Ahnung, ob das 1:1 reicht oder nicht“, gestand Christian Müller nach dem Spiel im Pulk der Fans, die nach dem Schlusspfiff binnen weniger Minuten den Platz gestürmt hatten.

Am Ende reichte es, und alle Beschwernisse dieser wechselhaften Saison waren zunächst vergessen. Oder wie Verteidiger Miljatovic prägnant formulierte: „Scheißegal. Klassenerhalt.“ Am Abend feierte die Mannschaft in einem griechischem Lokal im Stadtteil Bieber. Und dabei dürften die OFC-Spieler zwischen dem einen oder anderen Bierchen, vielleicht auch mal kurz daran gedacht haben, dass „der Tanz auf der Rasierklinge“ (Trainer Frank) auch ins Auge hätte gehen können.