Seite wählen

Aus der FAZ:
OFFENBACH. Vor dem Start in die Zweitliga-Saison am kommenden Sonntag
in Paderborn haben die Offenbacher Kickers die Zeit bei Cesar Thier einfach
zurückgedreht. Denn auf einmal ist der OFC-Torhüter wieder im besten
Fußballalter – zumindest auf dem Papier. In der Pressemitteilung der Kickers
zur Spielzeit 2007/2008 machte der Klub den Brasilianer kurzerhand zehn Jahre
jünger. Statt das Geburtsdatum bei Thier mit Oktober 1966 anzugeben, ist der
Torwart nach Darstellung der Hessen Jahrgang 1976. War da etwa der Wunsch
Vater des Gedankens? In gut zwei Monaten erreicht Thier das für einen Profi
beachtliche Alter von 41 Jahren. Damit ist er der älteste Berufsspieler im
deutschen Fußball. „Das macht mich stolz“, sagt der Familienvater über seine
Langzeitkarriere. Doch dem Thema will der alte Hase zwischen den Pfosten
keine große Bedeutung beimessen.

Auf seine alten Tage fühlt sich Thier nämlich quicklebendig. Diesmal hat er in
der Vorbereitung alle Einheiten mitmachen können. Schmerzen? Fehlanzeige.
Ein schönes Gefühl. Vor zwei Jahren noch bangte er um die Fortsetzung seiner
Laufbahn – und den Lohn seiner sportlichen Aufbauarbeit in Offenbach.
Nachdem Thier damals im erfolgreich abgeschlossenen Aufstiegskampf der
Regionalliga Süd auf die Zähne gebissen hatte, ereilte ihn in der Spielpause die
Diagnose: Knorpelschaden im Knie. Nach zwölf harten Jahren drohte sein
Traum vom Profifußball zu platzen. Thier kämpfte sich jedoch im Anschluss an
die Operation langsam zurück. Erst auf Krücken, später an den Kraftmaschinen
und bei der Physiotherapie. Heute reagiert der Offenbacher Stammtorhüter
darauf, kein junger Hüpfer mehr zu sein. Übungen, die nicht gut für sein
vorbelastetes Knie sind, meidet er. „Richtig in die Hocke zu gehen und über
Stangen zu springen, so etwas tue ich nicht mehr“, sagt Thier. Stattdessen macht
er viel Gymnastik, das halte geschmeidig. Lässigkeit und den Glauben, von
seiner Erfahrung gut zu leben, kann er sich allerdings nicht leisten. Mit dem
Alter nimmt das Reaktionsvermögen ab, also arbeitet Thier daran, seine guten
Reflexe zu erhalten. Zumal der Druck aus den eigenen Reihen in den
Sommermonaten größer geworden ist. Seinem Stellvertreter Daniel Endres
attestiert Thier, einen „Mordsschub nach vorne gemacht“ zu haben. „Es ist nicht
so, dass ich locker bin und weiß, dass ich uneingeschränkt die Nummer eins
bin.“ Endres sitze ihm im Nacken, sagt der Brasilianer. In den Testspielen
unterlief Thier der eine oder andere kleine Fehler. Das besondere
Vertrauensverhältnis, das er zu Trainer Wolfgang Frank aufgebaut habe,
rechtfertigte der Torhüter allerdings beim am vergangenen Samstag mit 4:0
gewonnenen Pokalspiel in Sandhausen. Mit gutem Stellungsspiel verhinderte
Thier, zu dessen Stärken das Mitspielen vor dem Tor zählt, den 1:1-
Ausgleichstreffer durch den früheren OFC-Profi Alf Mintzel. In dieser Saison
möchte der Torwart zur Steigerung seines Leistungsvermögens ausgeglichener
sein. Er will sich mehr auf seine Leistung konzentrieren. „In der abgelaufenen
Runde habe ich mich mit vielen Dingen drum herum beschäftigt“, sagt Thier.
Die Negativserie der Mannschaft und die hohe Zahl der Gegentreffer, glaubt der
Torhüter, habe er zu lange mit sich herumgetragen. In Zukunft will er nach
einem Spiel schneller abschalten, und ganz wichtig: „immer positiv denken“.
Das Mitglied des Mannschaftsrates wird mitreden, aber nicht unbedingt der
Wortführer auf dem Bieberer Berg sein. Die Zeit, nach der Zittersaison mit dem
drohenden Abstieg über viele Dinge nachzudenken, nahm sich Thier im Urlaub.
Zum ersten Mal seit langem reiste der Torhüter, „der aus der Sonne kommt“
(Thier), in seine brasilianische Heimat. Hier gewann er den erforderlichen
Abstand.
Auf der Schlussetappe seiner Karriere setzt sich Thier nur noch „kurze Ziele“,
wie er es ausdrückt. Zunächst ist ihm das Wichtigste, eine „sehr gute Vorrunde“
zu spielen. Danach sieht der Torwart weiter. Eigentlich soll das seine letzte
Saison sein. Aber man weiß nie, was kommt. Denn wie 41 fühlt sich Thier noch
nicht. Und zum überraschenden Verjüngungsprozess des Routiniers zwischen
den Pfosten haben ja auch die Offenbacher Kickers ihren Teil beigetragen.
Jörg Daniels

Text: F.A.Z., 08.08.2007, Nr. 182 / Seite 54